Samstag, 29. Dezember 2012

Verloren


„Herrin, verzeiht, aber er erinnert sich nicht. An nichts. Ich habe es bereits mit allen erdenklichen Zaubern probiert, aber seine Erinnerungen kehren einfach nicht zurück. Ich weiß nicht mit was für einem Zauber diese Hexe ihn belegt hat, aber es muss ein Unbekannter sein, einer der nicht mal in dem Buch steht, das wir Hexen seit Jahrhunderten führen“, sagte Mirinda. In ihren Augen spiegelten sich Trauer und Mitleid wieder. Ich wendete den Blick ab, wollte es nicht sehen, geschweige denn es bestätigt haben. Mein Mann erinnerte sich nicht mehr an mich, seit dem er von den Feinden gefangen und zu ihrer Herrscherin, meiner Feindin gebracht wurde. Er erinnerte sich nur noch an sie und  glaubte sie zu lieben. Man hatte ihn verhext und mir das genommen, was mir am meisten bedeutete, was ich liebte, wofür ich lebte.
Ich drehte Mirinda den Rücken zu und stemmte meine Arme gegen den Tisch, an den ich zuvor gelehnt hatte. Meine Rüstung knirschte dabei leise.
Die Worte, die meine Tante mir bei meinem ersten Liebeskummer gesagt hatte, schossen mir in den Kopf. „Die Hoffnung stirbt zu letzt, Liebes, aber sie stirbt.“ Ein bitteres Lächeln zwang sich auf mein Gesicht und Kälte durchströmte mich langsam, wie ein Gift, das sich nach und nach im Körper ausbreitete. Ein Zittern kroch in mir hoch und ich versuchte vergeblich es zu unterdrücken.
 Ich hatte verloren.
Mühsam verdrängte ich die Tränen die mir in die Augen stiegen, in dem ich langsam und tief atmete und meinen Blick auf meine Hände richtete, die sich an den Tisch klammerten, als wäre es das einzige was ihnen Halt geben würde. Blut von den Feinden klebte unter meinen Fingernägeln und an meinen Händen.
Meine Gedanken waren ein Durcheinander, derer ich mir nicht annahm. Denn ein Gedanke war klar und trat aus den anderen hervor. Ich wollte das Beste für Rohan. Ich wollte nur, dass er glücklich ist, wenn auch ohne mich.
Ich gönnte mir einen letzten tiefen Atemzug. „ Bring ihn her“, befahl ich meiner Zauberin. Meine Stimme klang gepresst.
„Wie Ihr befehlt, Herrin“, antwortete sie und verschwand aus meinem Zelt.
Mit langsamen, beinahe schwerfälligen Schritten trat ich von dem Tisch zurück und ging hinüber zu der Truhe auf der eine Schüssel mit Wasser stand. Ich tauchte meine Hände vorsichtig in die nasse Kühle und beobachtete wie es sich allmählich rosarot zu färben begann. Nach einer kurzen Weile begann ich dann zu schrubben, bis meine Arme rot gescheuert waren und schmerzten.
Es würde nicht mehr lange dauern bis Mirinda mit Rohan zurückkehren würde. Mein geliebter Rohan. Abermals durchlief mich ein Zittern und ich lies mich auf die Knie fallen. Meine Hände krallten sich in die Felle die auf dem Boden lagen. Das Zittern fand kein Ende mehr und meine Gedanken wandert dorthin wo sie nicht hin sollten. Erinnerungen an Rohan und mich stiegen in mir auf. Unsere erste Begegnung, unser erstes Gespräch, unser erster Kuss, unsere erste Nacht, der Moment in dem er mich fragte ob ich seine Frau sein wollte..all dies schoss mir durch den Kopf, raubte mir den Atem und ließ die Tränen nun überlaufen. Fest presste ich meine Stirn gegen den Boden und atmete heftig ein und aus. Übelkeit stieg in mir hoch und die Tränen nahmen mir die Sicht.
Verdammt! Was tat ich hier! Ich musste stark sein, ich war die Anführerin aller Menschen meines Reiches. Ich musste dafür sorgen, dass sie in Sicherheit waren und mich nicht selbst bedauern.
Ich sollte dort draußen mit ihnen auf dem Schlachtfeld stehen und mich nicht in meinem Zelt verkriechen und heulen.
Stärke. Das war es was ich meinem Volk verleihen und zeigen sollte. Schwäche konnte zurzeit niemand gebrauchen.
Ich holte tief Luft und stieß sie zittrig wieder aus. Langsam drückte ich mich mit meinen Armen vom Boden ab und blieb auf meinen Knien. Ich beugte mich zum Waschtisch hinüber und langte nach dem Tuch, welches ich  gerade so mit den Fingerspitzen erreichte. Ich tupfte mir damit im Gesicht herum, bis jegliche Spur meiner Tränen verwischt wurde. Das Einzige was meinen Gefühlsausbruch jetzt noch verraten konnte waren meine Augen, die wahrscheinlich leicht geschwollen und rötlich waren.
Als diese Prozedur beendet war legte ich das Tuch neben mich auf den Boden und atmete noch einmal tief durch, ehe ich mich aufrichtete. Keine Sekunde zu früh, denn Mirinda schob das Tuch vor dem Zelteingang beiseite und trat ein, dicht gefolgt von Rohan.
„Herrin“, sagte sie nur knapp und musterte mich, so als wolle sie abschätzen ob ich diese Unterhaltung verkraften konnte.
„Danke, Mirinda. Du darfst gehen“, entließ ich sie und versuchte ihr ein beruhigendes Lächeln zu schenken.
Sie verließ das Zelt und ließ mich alleine mit Rohan. Meinem geliebten Rohan. Dort stand er mit seinem zerzausten braunen Haar und seinen eisblauen Augen. Er war so unfassbar schön.
„Herrin“, sagte er und fiel auf seine Knie, „Bitte, bitte lasst mich zu meiner Geliebten zurückkehren.“
„ Steh auf,bitte“, bat ich ihn. Meine Stimmte bebte leicht. Er erhob sich, hielt seinen Blick jedoch gesenkt. „Ist dies dein sehnlichster Wunsch?“ Ich wollte die Antwort nicht hören.
„Ja, Herrin, das ist es. Ich würde alles tun um zu ihr zurückzugelangen!“ Die Leidenschaft die aus seinen Worten herausklang hatte einst mir gegolten. Ich schloss die Augen und versuchte den Schmerz, die Qualen in meinem Inneren zu Verdrängen.
„Dann sei es so“, sagte ich und griff nach meinem Schwert, das auf meinem Bett ruhte. „ Ich werde dich hinaus begleiten.“
Seine Augen funkelten und er strahlte, als er mich dankbar ansah. Mir wurde speiübel. Ich deutete mit einem Kopfnicken an, dass er vorgehen sollte.
Rohan drehte mir den Rücken zu und ging zielstrebig zum Zelteingang, so als könne er es kaum erwarten von mir weg und zu seiner Geliebten zu kommen. Der Gedanke versetzte mir einen Stich in mein zerfleischtes Herz.
„Es tut mir Leid“, flüsterte ich und ließ meinen Tränen freien Lauf.  Ich packte mein Schwert fester und schlug ihm mit dem Knauf eins über. Er fiel vornüber und regte sich nicht mehr.
Ich beugte mich zu ihm herab und drehte Rohan auf den Rücken. Ich betrachtete ihn ein letztes Mal eingehend und strich meinem Geliebten sanft über die Wange. Mein Kopf wanderte höher, sodass ich ihm einen Kuss auf die Stirn geben konnte.
„Vergib mir, mein Herz. Vergib mir, “ schluchzte ich, „ich liebe dich.“ Dann sank ich über ihm zusammen, drückte mein Gesicht an seine Brust und weinte um ihn, um uns; bevor ich meine Leibwächter rief um ihn in den Kerker werfen zu lassen.